Bald ein Volk von Petitionären?

Die AZ-Medien (u.a. Badener Tagblatt, Limmatwelle) lancieren eine Internetplattform, die es der Bevölkerung in über 400 Gemeinden (darunter Würenlos) erleichtern soll, mit einer Petition Forderungen und Wünsche an ihren Gemeinderat heranzutragen.

«Politikfrust lokal bekämpfen» so kommentiert das Badener Tagblatt vom 1.12. sein neuestes Projekt für die Gemeinden im Marktgebiet der AZ-Medien. Drückt irgendwen aus Würenlos der Schuh, so kann er oder sie auf petitio.ch ein Begehren formulieren und begründen. Wird diese Petition im Internet von 200 Personen unterstützt (die Zahl variiert je nach Bevölkerungsgrösse), so schreiben die AZ-Medien dem Gemeinderat einen Brief mit der Bitte, die Petition innert 30 Tagen zu beantworten.

Die Plattform gebe auch solchen Bürgern die Möglichkeit, sich einzubringen, die sich vielleicht sonst nicht politisch engagieren, zitiert die AZ einen Politikforscher des Zentrums für Demokratie in Aarau. Grundsätzlich ist jedes Vorhaben zu begrüssen, das zu einer aktiveren Mitwirkung der Bevölkerung an der Gestaltung ihres engsten Lebensraumes führen kann. Das Internet bietet dazu neue Möglichkeiten., wie petitio.ch zeigt.

petitio.ch ist  ein Kind der AZ-Medien, wurde aber pikanterweise vom Medienriesen Google gefördert Nicht zuletzt wegen Google sind weltweit die traditionellen Medienunternehmen in Bedrängnis geraten, verlieren zahlende Abonnenten und Inserenten. Im Überlebenskampf verfallen die gebeutelten Medienfirmen auf vielerlei Ideen. petitio.ch gehört gewiss nicht zu den dümmsten.

Herausfinden, was die Leute bewegt und daraus eine interessante Geschichte machen, das hat guten Journalismus schon immer ausgezeichnet. petitio.ch verknüpft den Journalismus geschickt mit der Mobilisierungstechnologie im Internet – bewährt etwa im Crowdfunding. Allerdings ist eine Petition ein völlig unverbindliches Instrument der Mitsprache. Um eine Petition an unseren Gemeinderat unterzeichnen zu dürfen, muss man weder in Würenlos stimmberechtigt noch wohnhaft zu sein. Alle dürfen: Schweizer, Ausländer, Kinder Erwachsene, demnächst wohl auch noch die Hunde :-7. Die Identität der Unterzeichnenden wird nicht geprüft, eine bestimmte Zahl von Unterschriften ist nicht erforderlich.

Die Petitionsfreiheit ist ein verfassungsmässiges Grundrecht: «Jedermann kann an die Behörden Gesuche und Eingaben richten. Diese sind zu beantworten.» (§ 19 der aarg. Kantonsverfassung) Doch damit hat sich’s auch schon. Anders als etwa eine Initiative ist die Petition für die Behörden in keiner Weise bindend. Die Antwort der Behörde darf völlig unverbindlich ausfallen.

Ob petitio.ch die Erwartungen erfüllt, muss sich erst noch zeigen. Alle Aargauer Gemeinden haben eine Grösse, die den persönlichen Zugang zu den Behörden einigermassen leicht macht. So kann jede Person in Würenlos eine Sprechstunde mit dem Gemeindeammann vereinbaren – eine aber eher selten benutzte Möglichkeit, wie mir Gemeindeammann Hans Ueli Reber einmal gesagt hat.

Anders als die Petition oder der persönliche Behördenkontakt sind die demokratischen Rechte Jugendlichen unter 18 oder ausländischen Einwohnern verwehrt. Jeder Stimmberechtigte kann  an der Gemeindeversammlung zur Tätigkeit der Gemeindebehörden oder der Gemeindeverwaltung eine Anfrage stellen. Und 10 Prozent der Stimmberechtigten – das sind gegenwärtig bei uns etwa 430  – können in einem begründeten Schreiben verlangen, dass ein Thema an der Gemeindeversammlung zur Sprache kommt (Initiative). Die dazu erforderlichen Unterschriften sind keine unüberwindliche Hürde. Das zeigen mehrere Referenden (für die sind  gleich viele Unterschriften erforderlich), die in den letzten Jahren zustande gekommen sind.

Die Petition ist oft ein Druckmittel, wenn andere Vorstösse nichts gefruchtet haben. Wenn sich Leute mit ihrem Anliegen von den Behörden nicht ernst genommen fühlen, kann es richtig sein, auf diese Weise den Behörden Dampf zu machen. Doch Behörden mit einer Petition und erst noch mit Schützenhilfe eines mächtigen Medienkonzerns unter Druck zu setzen, kann auch  kontraproduktiv sein. Die Kunst der Einflussnahme besteht gelegentlich auch in einem diskreteren Vorgehen.

Petitionen wecken oft  falsche Hoffnungen. Bleiben sie erfolglos, so führt das eher zu mehr statt zu weniger Politikverdrossenheit. Auf petitio.ch sind schon einige Petitionen aufgeschaltet. Mit der einen möchte ein Herr aus Niederwil verhindern, dass die dortige Poststelle geschlossen wird. Es hat in der Schweiz schon Dutzende von Petitionen gegen die Schliessung von Post- und Bahnschaltern gegeben, und mir ist keine einzige bekannt, die zum Erfolg geführt hätte. Der Gemeinderat ist, wie im Beispiel Niederwil, eben oft nicht der richtige Adressat. Vielleicht geht er sogar mit den Petitionären einig und kann dann nur den Briefträger spielen zur Post, zum Kanton, zur SBB, zur Kantonspolizei oder wer auch immer zuständig ist.

In seinem AZ-Kommentar verspricht sich Rolf Cavalli, Chef  der AZ-Regionalausgaben, von petitio.ch auch keine blauen Wunder. Aber im besten Fall würden alle profitieren, die Bürger, die Behörden und «wir Journalisten, die dank petitio.ch lokale Themen entdecken, die uns sonst vielleicht durch die Lappen gehen würden». Liebe AZ-Leute: Was Würenlos anbelangt, könnt ihr das auch einfacher haben:  Regelmässig würenblicker lesen!

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