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Fluglärm – ein verflixtes Thema

Das Thema Fluglärm ist in der Region wieder einmal aktuell. Soeben hat auch eine Würenloserin eine Online-Petition «Schluss mit Lärmbelastung im Kanton Aargau» gestartet. würenblicker reiht sich nicht ein in die Anti-Fluglärm-Front. Denn er schreibt nicht gerne über Dinge, die so kompliziert sind, dass er ihre Tragweite beim besten Willen nicht abschätzen kann.

Ein Blog ist verführerisch. Zu allem, wirklich allem, kann ein Blogger seinen Senf dazu zu geben, ohne auf das Wohlwollen anderer, zum Beispiel irgendwelcher Redaktionen, angewiesen zu sein. Fragt sich nur, ob man auch alles tun soll, was man tun kann. Soll man also zu allem seinen Senf  geben? Auch wenn man dabei Gefahr läuft, notgedrungen aus dem hohlen Bauch heraus argumentieren zu müssen?

Der  Fluglärm ist für mich so ein Thema, bei dem ich wohl ewig im Blindflug unterwegs sein werde und von dem ich darum lieber die Finger lasse. Zu komplex, zu technisch alles! Mehr als 25 Jahre meiner aktiven Journalistenzeit habe ich mich mit dem Grossraum Zürich befasst. Und da kochte  die Themen Flughafen und Fluglärm immer wieder hoch. Gut, wusste stets eine Kollegin oder ein Kollege auf der Redaktion im Thema tausendmal besser Bescheid.

Meine Leserinnen und Leser mögen vielleicht mitbekommen haben, dass – und jetzt bitte 300prozentige Konzentration! – ein „Anhörungsverfahrens zu den neuen Festlegungen im angepassten Objektblatt zum Flughafen Zürich des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt SIL“ läuft. Das liest sich nicht nur gottvergessen kompliziert – es ist es auch. Weder nach der Lektüre unserer Regionalpresse noch der zum Thema veröffentlichten Unterklagen auf der offiziellen Website des Flughafens Zürich habe ich den Durchblick. Und so mögen meine Leserinnen und Leser vielleicht auch verstehen, weshalb ich zweifellos wichtige Thema nicht rascher aufgegriffen habe.

Die neuen Festlegungen stehen im Zusammenhang mit einem zu ändernden Abflugverfahren. Wenn ich auch nur einigermassen richtig verstanden habe, geht es  unter anderem darum, dass irgendwann mal die Hauptabflugroute nach Westen ab der Piste 28 (Pistenschwelle bei Rümlang) geändert werden soll. Dies aber offenbar auch erst, nachdem die besagte Piste verlängert worden ist – ein im Standortkanton Zürich hoch umstrittenes Vorhaben. Die Flugzeuge sollen künftig entlang der Lägern bis Wettingen fliegen (wo die Routen aufgefächert werden), statt wie gegenwärtig schon auf der Höhe Buchs in Richtung Limmattal und Heitersberg abzudrehen.

Ostaargauische Politiker wehren sich dagegen, eine Motion im Grossen Rat fand breite Unterstützung.. Auf dem Portal «petitio.ch» der AZ Medien wurden Online-Petitionen lanciert, soeben eine auch von der Würenloserin Marianne Steiger. Nach fünf Tagen hatte sie allerdings erst vier Unterstützer gefunden. Link zu dieser Petition hier.

Würde Würenlos  in Zukunft viel häufiger direkt überflogen,  und wäre die Lärmbelastung effektiv grösser als heute? In einer Mitte Dezember veröffentlichten Pressemitteilung schreibt der Gemeinderat, unsere Gemeinde sei vom neuen Abflugregime «negativ betroffen», der Fluglärm werde sich stark in den Aargau verlagern. Der aargauische Baudirektor Stephan Attiger aber wies in der in der «AZ»  darauf hin, dass gewisse aargauische Gebiete auch entlastet würden, so Spreitenbach. Und Spreitenbach liegt ja nicht weiter von Würenlos entfernt als Wettingen. Zudem wird unser Dorf  zeitweise von startenden Flugzeugen auch direkt überflogen und das seit langer Zeit. Die Flugzeuge sind leiser geworden. Viele Würenloser haben noch die alten, lauten Flieger – etwa die Coronados, Caravelles oder DC 9 im Ohr und empfinden den heutigen Fluglärm als weniger störend. Wer unlängst aus einer Gegend mit wenig Fluglärm hierher zog, mag das anders empfinden.

Am störendsten finde ich heute die paar schweren Langstreckenmaschinen im Tiefflug, die unser Dorf seit Jahrzehnten regelmässig um 23 Uhr oder später beglücken. Nachtflüge seien, so der Gemeinderat in seiner Stellungnahme zuhanden des Bundesamts für Zivilluftfahrt, auf das absolute Minimum zu beschränken. Keinesfalls dürfe der Nachtbetrieb gar ausgeweitet und dazu benützt werden, um  Verspätungen abzubauen, die im regulären Tagesbetrieb entstehen. Diese Forderung halte ich für gerechtfertigt.

Darüber hinaus mag ich ich mich aber nicht an dem auch im Aargau beliebten Spiel beteiligen, den Schwarzen Peter Fluglärm anderen Gebieten unterzujubeln. Beispiel: Soll doch die reiche Zürcher Goldküste mehr Südabflüge bekommen, zumal sie schwächer besiedelt sei als der Ostaargau (so SP-Grossrat Jürg Caflisch, Baden). Wie wenn bei einem Südstart nicht unmittelbar nach der Pistenschwelle das dichtest besiedelte Gebiet Wallisellen/Zürich-Schwamendingen überflogen würde.

Nein – das Thema ist zu komplex, als dass ich eine klare Meinung formulieren könnte. Solange Würenlos und der Ostaargau als Wirtschaftsraum vom nahen Flughafen enorm profitieren und nicht nachgewiesen ist,  dass Aargauer häufiger  auf Ferien-, spassige Städte- und unnötige Geschäftsflüge verzichten als andere Schweizer, hat für mich die Parole «weniger Fluglärm für den Aargau» etwas Heuchlerisches. So, damit sei das Thema wenigstens für mich einstweilen erledigt.

Sicher gibt es aber Leserinnen und Leser, die in diesem Thema mehr Durchblick haben. Von guten Argumenten und leicht verständlichen Erklärungen lasse ich mich gerne überzeugen. Benützen Sie die Kommentarfunktion unter der Titelzeile!

Bald ein Volk von Petitionären?

Die AZ-Medien (u.a. Badener Tagblatt, Limmatwelle) lancieren eine Internetplattform, die es der Bevölkerung in über 400 Gemeinden (darunter Würenlos) erleichtern soll, mit einer Petition Forderungen und Wünsche an ihren Gemeinderat heranzutragen.

«Politikfrust lokal bekämpfen» so kommentiert das Badener Tagblatt vom 1.12. sein neuestes Projekt für die Gemeinden im Marktgebiet der AZ-Medien. Drückt irgendwen aus Würenlos der Schuh, so kann er oder sie auf petitio.ch ein Begehren formulieren und begründen. Wird diese Petition im Internet von 200 Personen unterstützt (die Zahl variiert je nach Bevölkerungsgrösse), so schreiben die AZ-Medien dem Gemeinderat einen Brief mit der Bitte, die Petition innert 30 Tagen zu beantworten.

Die Plattform gebe auch solchen Bürgern die Möglichkeit, sich einzubringen, die sich vielleicht sonst nicht politisch engagieren, zitiert die AZ einen Politikforscher des Zentrums für Demokratie in Aarau. Grundsätzlich ist jedes Vorhaben zu begrüssen, das zu einer aktiveren Mitwirkung der Bevölkerung an der Gestaltung ihres engsten Lebensraumes führen kann. Das Internet bietet dazu neue Möglichkeiten., wie petitio.ch zeigt.

petitio.ch ist  ein Kind der AZ-Medien, wurde aber pikanterweise vom Medienriesen Google gefördert Nicht zuletzt wegen Google sind weltweit die traditionellen Medienunternehmen in Bedrängnis geraten, verlieren zahlende Abonnenten und Inserenten. Im Überlebenskampf verfallen die gebeutelten Medienfirmen auf vielerlei Ideen. petitio.ch gehört gewiss nicht zu den dümmsten.

Herausfinden, was die Leute bewegt und daraus eine interessante Geschichte machen, das hat guten Journalismus schon immer ausgezeichnet. petitio.ch verknüpft den Journalismus geschickt mit der Mobilisierungstechnologie im Internet – bewährt etwa im Crowdfunding. Allerdings ist eine Petition ein völlig unverbindliches Instrument der Mitsprache. Um eine Petition an unseren Gemeinderat unterzeichnen zu dürfen, muss man weder in Würenlos stimmberechtigt noch wohnhaft zu sein. Alle dürfen: Schweizer, Ausländer, Kinder Erwachsene, demnächst wohl auch noch die Hunde :-7. Die Identität der Unterzeichnenden wird nicht geprüft, eine bestimmte Zahl von Unterschriften ist nicht erforderlich.

Die Petitionsfreiheit ist ein verfassungsmässiges Grundrecht: «Jedermann kann an die Behörden Gesuche und Eingaben richten. Diese sind zu beantworten.» (§ 19 der aarg. Kantonsverfassung) Doch damit hat sich’s auch schon. Anders als etwa eine Initiative ist die Petition für die Behörden in keiner Weise bindend. Die Antwort der Behörde darf völlig unverbindlich ausfallen.

Ob petitio.ch die Erwartungen erfüllt, muss sich erst noch zeigen. Alle Aargauer Gemeinden haben eine Grösse, die den persönlichen Zugang zu den Behörden einigermassen leicht macht. So kann jede Person in Würenlos eine Sprechstunde mit dem Gemeindeammann vereinbaren – eine aber eher selten benutzte Möglichkeit, wie mir Gemeindeammann Hans Ueli Reber einmal gesagt hat.

Anders als die Petition oder der persönliche Behördenkontakt sind die demokratischen Rechte Jugendlichen unter 18 oder ausländischen Einwohnern verwehrt. Jeder Stimmberechtigte kann  an der Gemeindeversammlung zur Tätigkeit der Gemeindebehörden oder der Gemeindeverwaltung eine Anfrage stellen. Und 10 Prozent der Stimmberechtigten – das sind gegenwärtig bei uns etwa 430  – können in einem begründeten Schreiben verlangen, dass ein Thema an der Gemeindeversammlung zur Sprache kommt (Initiative). Die dazu erforderlichen Unterschriften sind keine unüberwindliche Hürde. Das zeigen mehrere Referenden (für die sind  gleich viele Unterschriften erforderlich), die in den letzten Jahren zustande gekommen sind.

Die Petition ist oft ein Druckmittel, wenn andere Vorstösse nichts gefruchtet haben. Wenn sich Leute mit ihrem Anliegen von den Behörden nicht ernst genommen fühlen, kann es richtig sein, auf diese Weise den Behörden Dampf zu machen. Doch Behörden mit einer Petition und erst noch mit Schützenhilfe eines mächtigen Medienkonzerns unter Druck zu setzen, kann auch  kontraproduktiv sein. Die Kunst der Einflussnahme besteht gelegentlich auch in einem diskreteren Vorgehen.

Petitionen wecken oft  falsche Hoffnungen. Bleiben sie erfolglos, so führt das eher zu mehr statt zu weniger Politikverdrossenheit. Auf petitio.ch sind schon einige Petitionen aufgeschaltet. Mit der einen möchte ein Herr aus Niederwil verhindern, dass die dortige Poststelle geschlossen wird. Es hat in der Schweiz schon Dutzende von Petitionen gegen die Schliessung von Post- und Bahnschaltern gegeben, und mir ist keine einzige bekannt, die zum Erfolg geführt hätte. Der Gemeinderat ist, wie im Beispiel Niederwil, eben oft nicht der richtige Adressat. Vielleicht geht er sogar mit den Petitionären einig und kann dann nur den Briefträger spielen zur Post, zum Kanton, zur SBB, zur Kantonspolizei oder wer auch immer zuständig ist.

In seinem AZ-Kommentar verspricht sich Rolf Cavalli, Chef  der AZ-Regionalausgaben, von petitio.ch auch keine blauen Wunder. Aber im besten Fall würden alle profitieren, die Bürger, die Behörden und «wir Journalisten, die dank petitio.ch lokale Themen entdecken, die uns sonst vielleicht durch die Lappen gehen würden». Liebe AZ-Leute: Was Würenlos anbelangt, könnt ihr das auch einfacher haben:  Regelmässig würenblicker lesen!