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Spuk ohne Nutzen

Der dreiwöchige A1-Raststättenspuk ist vorüber. Endlich. Als Glanzpunkt in der neueren Ortsgeschichte wird der viel zu lange Event kaum in Erinnerung bleiben.

Das Eventareal am Mittwoch, 19. August, abends um 18.45 Uhr.
Das Eventareal am Mittwoch, 19. August, abends um 18.45 Uhr.

Selbst wenn einzelne Programmpunkte in der zweiten und dritten Woche doch noch etliche Besucher mehr an den Autobahnrand gelockt haben als die paar hundert in der ersten Woche, von denen ein enttäuschter Gemeindeschreiber Daniel Huggler in der «Limmatwelle» sprach – im grossen Ganzen war’s kein Renner. Auch bei der Würenloser Bevölkerung hielt sich das Interesse in engen Grenzen. An zu wenig Werbung kann’s kaum gelegen haben. Allein die «Limmatwelle» als Medienpartner stellte Inserateraum im Wert von über 10 000 Franken bereit.

Am rührenden Einsatz der lokalen Freiwilligen hat’s gewiss auch nicht gefehlt und die Ideen des OK und deren Realisierung  waren angesichts der kurzen Vorbereitung nicht ohne. Der Beitrag von Aargau Tourismus allerdings war leider so bieder und verstaubt, als gelte es eine Ferienmesse in Nordkorea zu beschicken. Der Slow-down-Ansatz mit Anreizen, die im Vergleich zur  Raststätte viel schönere Umgebung kennenzulernen, war an sich reizvoll, nur funktionierte er nicht wie erhofft..

Es war wohl schlicht der falsche Event, am falschen Ort, zur falschen Zeit. Die Strahl- und Anziehungskraft der werktäglich 20 Minuten dauernden TV-Livesendung wurde massiv überschätzt – von den Entscheidungsträgern in der Gemeinde ebenso wie von Aargau Tourismus. Die Macher von«Schweiz aktuell» hatten im Vorfeld das Blaue vom Himmel versprochen. Wenn sie auf den grossen Zuspruch hinwiesen, den der Begleitevent des Vorjahres im abgelegen-ländlichen Bauma fand, verglichen sie Äpfel mit Birnen.

Würenlos gehört zur Agglomeration Zürich. Da tut sich das Fernsehen generell schwer mit direktem Einbezug des Publikums. Dieses ist wählerischer, anspruchsvoller und hat eine Vielzahl von Unterhaltungsmöglichkeiten zur Auswahl. Das Publikum stimmt mit den Füssen ab. Und da gibt es nichts zu deuteln: Auch eine Mehrheit der Würenloserinnen und Würenloser fand den Begleitevent zu «A1 – Die Raststätte» ziemlich überflüssig.

Das grosse Engagement der Standortgemeinde wäre allenfalls dann gerechtfertigt gewesen, wenn unser Dorf mit dem Event sein (unzutreffendes) Image als gesichtsloser Durchfahrtsort zwischen Zürich und Basel/Bern hätte aufpolieren können. Wenn wir künftig beim Nennen unseres Wohnorts nicht jedes Mal das ätzende «aha, beim Fressbalken» hören müssten. Doch dem ist nicht so. Dank YouTube-Star Bendrit, viel TV-Eigenwerbung, seichten Boulevard- und Gratismedien hat zwar das ganze Land mitbekommen, dass da in Würenlos etwas los war an der Autobahn. Doch der falsche Eindruck, die Autobahn und der Fressbalken seien Würenlos, liess sich nicht korrigieren. Er wurde noch verstärkt.

Die beste Werbung für Würenlos ist jene, welche die Autobahn ausser acht lässt. Unsere Gemeinde hat  bessere Trümpfe, die für sich sprechen. So erwies sich in diesem heissen Sommer unser Schwimmbad, dieses Bijou, bei Tausenden auswärtiger Besucher als Werbeträger erster Güte. Der A1-Event aber brachte Würenlos keinerlei Nutzen. Profitiert hat allein das Fernsehen SRF.

Umso mehr interessiert, wie tief die Steuerzahler für diesen Spuk werden in die Tasche greifen müssen. Darüber wird hoffentlich auf Franken und Rappen genau Rechenschaft abgelegt werden. Und zwar  auch über indirekte Kosten wie der Einsatz von Personal der Verwaltung und der technischen Betriebe. Je geringer der Betrag, umso besser. Denn es kann doch nicht sein, dass wir als Sparmassnahme den jährlichen Beitrag an die Trachtengruppe auf 1000 Franken halbieren, für eine am Zürcher Leutschenbach orchestrierte, uns aufgedrängte TV-Sause aber ein Mehrfaches davon ausgeben.

Wir vom Fressbalken

bild_s4Grausam. Werden wir Würenloserinnen und Würenloser auf unseren Wohnort angesprochen und geben wir ehrlich Antwort, kippt der Blick des Gegenüber ins Mitleidvolle. «Ah dort beim Fressbalken.» Wie haben wir doch jeweils Mühe, dem Gegenüber klar zu machen, dass wir weder auf dem A1-Mittelstreifen hausen noch Benzin statt Blut in unseren Adern haben.

So mag es ja ganz gut sein, dass das Fernsehen SRF im kommenden August  Kameras und Sendewagen drei Wochen lang vor dem Fressbalken in Stellung bringt und der Gemeinde Gelegenheit gibt, sich daselbst  in ein gutes  Licht zu rücken. «Wir wollen zeigen, wie schön Würenlos ist», sagt Franziska Arnold, Leiterin des Gemeinde- Events, in der «Limmatwelle». Von einer „einmaligen Chance, uns gut zu präsentieren» spricht Gemeindeschreiber Daniel Huggler. (Man darf sich ja nicht vorstellen, wieviel Manpower die Begleitung der jeweils vor der Hauptsendezeit ausgestrahlten «Schweiz aktuell»-Sendefolge im Gemeindehaus jetzt schon bindet. Und das angesichts eines Gemeinderats und einer Verwaltung, die gerne ihre Überlastung beklagen).

Die Würenloser Beteiligung am SRF-Sommerloch-Event hat doch etwas Gekünsteltes, Gequältes. Denn ein Grossteil des Dorfes liegt seit jeher fernab der Autobahn und blieb zu dieser wortwörtlich auf Distanz. Würenlos ist – gottseidank – kein typisches Autobahndorf wie andere Ortschaften zwischen Zürich und Bern. Was wären Egerkingen, Härkingen ohne A 1. Nichts. Was wäre Würenlos ohne A 1? Immer noch Würenlos, nicht ärmer, aber schöner.

Ohne A 1 hätten wir an der Furtbachmündung noch immer eine der idyllischsten Flusslandschaften weit und breit. Wäre die A1 nur 15 Jahre später geplant worden, so wäre sie nie so rücksichtslos in die Landschaft geknallt worden wie das hier geschah. An etlichen Wohnlagen wäre es ruhiger, ganz ohne Schutzdämme und -wände. Und wir würden auch sicherer leben: nur zwei Typen von Menschen treibt es doch aus der Raststätte hinaus auf Würenloser Gebiet: Hundehalter, die ihren Liebling scheissen lassen müssen, und Kriminaltouristen, die nach einem Einbruch woanders kaum so schnell wieder on the road sind.

Die A1 ist für unsere Volkswirtschaft ein wichtiger Lebensnerv. Aber für unser Dorf ist sie kaum wichtiger als für Fislisbach oder Ehrendingen, die nicht an ihr liegen. Wir wären nicht schlechter dran, würde die A1 einige Kilometer östlich oder westlich an uns vorbei rauschen. Oder gehts der Zürichsee-Goldküste und dem Rohrdorferberg darum so miserabel, weil dort weit und breit keine Autobahn ist? 😉 Immerhin sind wir dank der Autobahn vor der Haustür  huschhusch in Basel, Bern, Luzern, Zürich, auf dem Flughafen. Wirklich? Wann ist mal kein Stau? Ein armer Hund, wer für den Arbeitsweg auf die Autobahn angewiesen ist oder meint, es zu sein.

Ist wenigstens der Fressbalken ein lokaler Wirtschaftsfaktor? Da gibts ja ziemlich viele Arbeitsplätze – allerdings nicht gerade jene, auf welche die meisten Würenloserinnen und Würenloser erpicht sind. Und wenn, so gibts in der Region noch viele andere Jobs im Detailhandel und in der Gastronomie. Vielleicht lässt die Autobahn-Raststätte Würenlos AG als Steuerzahlerin die Gemeindekasse klingeln, vielleicht ist sie ja gar eine der zwei juristischen Personen, die 2014 so viel mehr Steuern zahlten als erwartet? Die Antwort kennt nur der Fahrtwind – Steuergeheimnis.

Das Verhältnis der Würenloser zum Fressbalken war schon bei dessen Eröffnung im Jahre 1972 kein besonders inniges, wie ein Rückblick von Roman Würsch in den «Würenloser Blättern 2010» vermuten lässt. Man war froh, die Raststätte ein gehöriges Stück abseits vom Dorf zu wissen. Und das Dorf ist noch weiter abgerückt – nicht erst, seit Mövenpick unseren Neujahrsapero nicht mehr sponsert. Die Shoppingbrücke hat den Reiz des Neuen und Aussergewöhnlichen verloren, auch den Rekord, grösste über eine Autobahn gespannte Raststätte Europas zu sein. Anfangs konnte man da ja noch stolz darauf sein.

Uns als Konsumenten nützen die Läden auch weniger als früher, als noch nicht überall bis in die Nacht und sonntags eingekauft werden konnte. Zum Sonntagsbrunch auf die Brücke? Erinnerungen aus dem letzten Jahrhundert. Fernweh kommt da unten kaum auf. Touristen in Unterleibchen und Adidashosen auf der Suche nach dem Klo. Dann doch lieber gleich (per Zug) auf den mondäneren Flughafen!

Würenlos hat schöne Ecken und Seiten. Dies zu zeigen, ausgerechnet an diesem (Un-)Ort der schnellen Rast, ist kein einfaches Unterfangen. Gudrun aus Essen-Rüttenscheid und Beat aus Steffisburg halten da ja an, weil sie einen Kaffee trinken möchten oder mal müssen. Und nicht weil sie sozusagen hinter die Leitplanke blicken wollen. Und auch Ausflügler aus der weiteren Umgebung dürften sich so leicht nicht hierher locken lassen.

Wetten, dass vor allem jene im Festzelt höckeln werden, die Würenlos eh schon kennen. Aber weshalb sollen sie das ausgerechnet neben der Autobahn tun? Weil sie dort ihre eigenen weissen Socken an der Weltrekordleine bestaunen können? Oder weil das Fernsehen da ist? Naja. Sind wir noch so provinziell, dass uns eine Fernsehkamera aus den (dunklen oder weissen ) Socken haut?

Das OK Schweiz aktuell Würenlos sucht freiwillige Helferinnen und Helfer für Einsätze auf dem Eventareal. Gesucht werden überdies für eine Fotoausstellung Bilder aus privaten Sammlungen zum Thema Autobahnbau und Raststätte. Nähere Infos gibts hier