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Wir vom Fressbalken

bild_s4Grausam. Werden wir Würenloserinnen und Würenloser auf unseren Wohnort angesprochen und geben wir ehrlich Antwort, kippt der Blick des Gegenüber ins Mitleidvolle. «Ah dort beim Fressbalken.» Wie haben wir doch jeweils Mühe, dem Gegenüber klar zu machen, dass wir weder auf dem A1-Mittelstreifen hausen noch Benzin statt Blut in unseren Adern haben.

So mag es ja ganz gut sein, dass das Fernsehen SRF im kommenden August  Kameras und Sendewagen drei Wochen lang vor dem Fressbalken in Stellung bringt und der Gemeinde Gelegenheit gibt, sich daselbst  in ein gutes  Licht zu rücken. «Wir wollen zeigen, wie schön Würenlos ist», sagt Franziska Arnold, Leiterin des Gemeinde- Events, in der «Limmatwelle». Von einer „einmaligen Chance, uns gut zu präsentieren» spricht Gemeindeschreiber Daniel Huggler. (Man darf sich ja nicht vorstellen, wieviel Manpower die Begleitung der jeweils vor der Hauptsendezeit ausgestrahlten «Schweiz aktuell»-Sendefolge im Gemeindehaus jetzt schon bindet. Und das angesichts eines Gemeinderats und einer Verwaltung, die gerne ihre Überlastung beklagen).

Die Würenloser Beteiligung am SRF-Sommerloch-Event hat doch etwas Gekünsteltes, Gequältes. Denn ein Grossteil des Dorfes liegt seit jeher fernab der Autobahn und blieb zu dieser wortwörtlich auf Distanz. Würenlos ist – gottseidank – kein typisches Autobahndorf wie andere Ortschaften zwischen Zürich und Bern. Was wären Egerkingen, Härkingen ohne A 1. Nichts. Was wäre Würenlos ohne A 1? Immer noch Würenlos, nicht ärmer, aber schöner.

Ohne A 1 hätten wir an der Furtbachmündung noch immer eine der idyllischsten Flusslandschaften weit und breit. Wäre die A1 nur 15 Jahre später geplant worden, so wäre sie nie so rücksichtslos in die Landschaft geknallt worden wie das hier geschah. An etlichen Wohnlagen wäre es ruhiger, ganz ohne Schutzdämme und -wände. Und wir würden auch sicherer leben: nur zwei Typen von Menschen treibt es doch aus der Raststätte hinaus auf Würenloser Gebiet: Hundehalter, die ihren Liebling scheissen lassen müssen, und Kriminaltouristen, die nach einem Einbruch woanders kaum so schnell wieder on the road sind.

Die A1 ist für unsere Volkswirtschaft ein wichtiger Lebensnerv. Aber für unser Dorf ist sie kaum wichtiger als für Fislisbach oder Ehrendingen, die nicht an ihr liegen. Wir wären nicht schlechter dran, würde die A1 einige Kilometer östlich oder westlich an uns vorbei rauschen. Oder gehts der Zürichsee-Goldküste und dem Rohrdorferberg darum so miserabel, weil dort weit und breit keine Autobahn ist? 😉 Immerhin sind wir dank der Autobahn vor der Haustür  huschhusch in Basel, Bern, Luzern, Zürich, auf dem Flughafen. Wirklich? Wann ist mal kein Stau? Ein armer Hund, wer für den Arbeitsweg auf die Autobahn angewiesen ist oder meint, es zu sein.

Ist wenigstens der Fressbalken ein lokaler Wirtschaftsfaktor? Da gibts ja ziemlich viele Arbeitsplätze – allerdings nicht gerade jene, auf welche die meisten Würenloserinnen und Würenloser erpicht sind. Und wenn, so gibts in der Region noch viele andere Jobs im Detailhandel und in der Gastronomie. Vielleicht lässt die Autobahn-Raststätte Würenlos AG als Steuerzahlerin die Gemeindekasse klingeln, vielleicht ist sie ja gar eine der zwei juristischen Personen, die 2014 so viel mehr Steuern zahlten als erwartet? Die Antwort kennt nur der Fahrtwind – Steuergeheimnis.

Das Verhältnis der Würenloser zum Fressbalken war schon bei dessen Eröffnung im Jahre 1972 kein besonders inniges, wie ein Rückblick von Roman Würsch in den «Würenloser Blättern 2010» vermuten lässt. Man war froh, die Raststätte ein gehöriges Stück abseits vom Dorf zu wissen. Und das Dorf ist noch weiter abgerückt – nicht erst, seit Mövenpick unseren Neujahrsapero nicht mehr sponsert. Die Shoppingbrücke hat den Reiz des Neuen und Aussergewöhnlichen verloren, auch den Rekord, grösste über eine Autobahn gespannte Raststätte Europas zu sein. Anfangs konnte man da ja noch stolz darauf sein.

Uns als Konsumenten nützen die Läden auch weniger als früher, als noch nicht überall bis in die Nacht und sonntags eingekauft werden konnte. Zum Sonntagsbrunch auf die Brücke? Erinnerungen aus dem letzten Jahrhundert. Fernweh kommt da unten kaum auf. Touristen in Unterleibchen und Adidashosen auf der Suche nach dem Klo. Dann doch lieber gleich (per Zug) auf den mondäneren Flughafen!

Würenlos hat schöne Ecken und Seiten. Dies zu zeigen, ausgerechnet an diesem (Un-)Ort der schnellen Rast, ist kein einfaches Unterfangen. Gudrun aus Essen-Rüttenscheid und Beat aus Steffisburg halten da ja an, weil sie einen Kaffee trinken möchten oder mal müssen. Und nicht weil sie sozusagen hinter die Leitplanke blicken wollen. Und auch Ausflügler aus der weiteren Umgebung dürften sich so leicht nicht hierher locken lassen.

Wetten, dass vor allem jene im Festzelt höckeln werden, die Würenlos eh schon kennen. Aber weshalb sollen sie das ausgerechnet neben der Autobahn tun? Weil sie dort ihre eigenen weissen Socken an der Weltrekordleine bestaunen können? Oder weil das Fernsehen da ist? Naja. Sind wir noch so provinziell, dass uns eine Fernsehkamera aus den (dunklen oder weissen ) Socken haut?

Das OK Schweiz aktuell Würenlos sucht freiwillige Helferinnen und Helfer für Einsätze auf dem Eventareal. Gesucht werden überdies für eine Fotoausstellung Bilder aus privaten Sammlungen zum Thema Autobahnbau und Raststätte. Nähere Infos gibts hier