455 Tage im Untergrund sind genug

Eine Nachfolgelösung für die Asylunterkunft im Wiemel ist dringend.

Alles andere als eine Luxusbleibe: Schlafraum in der Zivilschutzanlage Wiemel vor dem Einzug der ersten Asylsuchenden.
Am 28. Februar waren 455 Tage vergangen, seit die ersten Asylsuchenden die Zivilschutzanlage Wiemel bezogen haben. Mittlerweile leben, wenn die Angabe im «Badener Tagblatt» vom 21.2.18 stimmt, 26 junge Männer in der unterirdischen Unterkunft. Sie stammen aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea, Somalia, Syrien, Sri Lanka und Sudan.

Es sind unterschiedlichste Menschen: Die einen sind wissbegierig und sprechen überraschend gut Deutsch, andere haben null Bock auf irgendwas. Es gibt Lebenstüchtige und solche, die das Leben im fremden Land gänzlich überfordert, Freundliche und Unnahbare. Rund ein Dutzend hat keine Tagestruktur, keinerlei Beschäftigung. Eine knappe Mehrheit besucht Sprach- oder Integrationskurse oder haben einen Job. Die meisten erleben nun schon den zweiten Winter im Wiemel. Ich beneide sie nicht.

Die Wiemel-Bewohner sind keine Kurzaufenthalter. Bei einigen steht der Asylentscheid noch aus, überwiegend sind es aber vorläufig Aufgenommene (mit Ausweis F). «Vorläufig» ist ein dehnbarer Begriff. Er bedeutet bei den meisten dieser Menschen «noch auf Jahre hinaus» oder «für immer». Asyl erhielten sie nicht, aber sie dürfen so lange hier bleiben, als die Rückführung ins Herkunftsland gegen die Menschenrechte verstossen würde oder aus praktischen Gründen unmöglich ist.

Unterirdische Unterkünfte bedeuten für die Bewohner eine zusätzliche Belastung und erschweren die Integration. Schon aus humanitärer Sicht also fragwürdig, sind sie es auch rechtlich. Aus wohnhygienischen Gründen – Gefährdung der physischen und psychischen Gesundheit! – verbieten die kantonalen und kommunalen Bauvorschriften generell das Wohnen und Schlafen in Räumen ohne Fenster ins Freie. Warum soll es bei männlichen Asylanten erlaubt sein? – Sind sie Menschen 2. Klasse?

Die Behörden haben Einiges getan, um die Nachteile des Lebens im Untergrund abzufedern. 2 Container dienen als Aufenthaltsraum mit Tageslicht und Internetzugang. Ein Töggelikasten oben und eine TV-Ecke mit Polstergruppe im Bunker unten – und Schluss ists mit der Gemütlichkeit. Die 26 Männer teilen sich 2 Schlafräume (jetzt soll ein 3. dazu kommen), einen Ess- und Aufenthaltsraum, eine Küche. 2 Duschen, 4 WC-Kabinen, 1 Waschtrog mit Kaltwasser, 1 Waschmaschine, 1 Tumbler. 1 schmaler Schrank pro Bewohner – erst jetzt werden aufbruchsichere Schlösser montiert. Kleider oder Lebensmittel aus dem gemeinsamen Kühlschrank würden laufend stibietzt, klagen Bewohner. Das schmerzt, wenn man rund 9 Franken pro Tag für Essen, Bekleidung, Handy zur Verfügung hat.

Eine WG dieser Grösse, Art und Dauer würde wohl auch dann mehr schlecht als recht funktionieren, wenn sie aus 26 jungen Schweizern bestünde. (Jeder Militär-Feldweibel könnte ein Lied davon singen.) Die Gemeinde hat eine spezialisierte Privatfirma (abs Betreuungsservice AG) mit der Betriebsführung der Unterkunft beauftragt. Rund 3 Stunden pro Tag – das aber nur von Montag bis Freitag – ist ein Betreuer vor Ort. An den Wochenenden sind die Bewohner weitgehend sich selbst überlassen. Angesichts aller Umstände ist diese Präsenzzeit zu knapp bemessen.

Die Bewohner haben null Privatsphäre. Halten sich auch nur einige Wenige nicht an die Regeln, leiden alle darunter. Jene, die am Morgen früh zur Arbeit oder zur Schule gehen müssen, klagen über häufige Nachtruhestörungen. Die Wohnverhältnisse erschweren somit paradoxerweise gerade jenen Flüchtlingen das Leben, die sich einen Platz in unserer Gesellschaft erarbeiten wollen und das mit bewundernswertem Elan.

Die Zivilschutzanlage war als Übergangslösung vertretbar, als die Gemeinde 2016 Knall auf Fall eine grössere Anzahl Asylbewerber aufnehmen musste und im Dorf keine anderen Unterkünfte finden konnte. Nun aber ist es höchste Zeit, den Asylsuchenden menschenwürdigeren Wohnraum zu geben. Doch bis jetzt hat der Gemeinderat keine solche Absicht bekundet.

Eine unserem hablichen Dorf angemessenere Asylunterkunft wäre keine Kuschelpolitik. Sie läge in unserem ureigensten Interesse. Denn nur sieben Jahre lang nach Einreise eines vorläufig Aufgenommenen kommt der Bund für dessen Kosten auf, danach wird die Gemeinde zahlungspflichtig. Unsere Sozialhilfe-Ausgaben werden also explodieren, wenn bis dahin nicht eine grössere Zahl der Wiemel-Bewohner ins Erwerbsleben gebracht werden kann. Und dazu leisten zumutbare Wohnverhältnisse – weg vom Massenlager – einen nicht zu unterschätzenden Beitrag.

Der finanzielle Aspekt allein schon rechtfertigt eine Investition der Gemeinde in eine bessere Unterkunft. Wenn sich keine preisgünstigen Wohnungen und Häuser mieten oder kaufen lassen, muss die Gemeinde nolens volens den Bau einer geeigneten Unterkunft ins Auge fassen.

Die Gemeindebehörden haben wiederholt verlauten lassen, seit Inbetriebnahme der Flüchtlingsunterkunft habe es keine Beanstandungen oder negativen Meldungen gegeben (so letztmals Gemeindeschreiber Daniel Huggler in der AZ vom 21.2.18). In der Tat hat die Sicherheit im Dorf nicht gelitten und selbst Nachbarn im Wiemel nehmen von den Asylsuchenden kaum Notiz.

Das stellt den Asylsuchenden insgesamt ein recht gutes Zeugnis aus. Eine „aus den Augen aus dem Sinn“-Mentalität wird ihnen darum nicht gerecht. Ob wir ihnen weiterhin prekäre Wohnverhältnisse zumuten wollen, müssen wir mit unserem Gewissen ausmachen. Mir wäre es wohler, wir wären in dieser Hinsicht ein Vorzeigedorf.

Der Autor stützt sich auf Beobachtungen und Erfahrungen, die er seit November 17 als Teil eines kleinen Freiwilligenteams gemacht hat, das jeweils am Sonntagnachmittag jene Bewohner der Asylunterkunft Wiemel, welche den Kontakt zu Leuten im Dorf suchen, zum Gespräch trifft.

5 Gedanken zu „455 Tage im Untergrund sind genug“

  1. Wie ist es möglich, dass Bundesrätin Sommaruga die Ärmsten aus fremdländischen Flüchtlingscamps in die CH einfliegen lässt, aber es für die auf die Gemeinde Verteilten, absolut keine minimalsten Wohn- und Beschäftigungsstandards gibt. Wenn wir unsere 26 jugendlichen Flüchtlinge (aus 6 verschieden Kulturkreisen) nicht schnellsten aus dem 24 Std. Untergrund (Zivilschutzanlage) herausholen, sie in 6 kleinen (Kultur)-Gruppen vom gemeinsamen Frühstück bis zum Abendessen in Arbeitsgruppen beschäftigen (Schulung und Arbeitseinsätze), so wird das für unsere Wohngemeinde in 6 Jahren, mit Ende der Bundesbeiträge von monatlichen Fr. 495.— (exklusive Krankenkassenversicherung), zu einer unbezahlbaren Sozialbelastung. Denn man lässt sich leichter assimilieren und integrieren, wenn man mit seinem Umfeld (Wohnsituation usw.) zufrieden ist.

  2. Ich bin schockiert, dass sowas in unserer Gemeinde passieren kann. Wir nennen uns Christen und verbannen diese Leute aus unserem Sichtfeld, als nicht existent und damit ist das Problem schon gelöst und unser Gewissen rein. Wo sind da die Menschenrechte? Bei Tieren hätte der Tierschutz schon längst eingegriffen.
    Wie das rechtlich, finanziell und personell gelöst werden kann, weiss ich nicht. ich bin aber überzeugt, dass mit viel gutem Willen und Einsatzbereitschaft seitens der Behörden und der beiden Kirchgemeinden eine menschenwürdige Unterkunft zur Verfügung gestellt werden kann.
    Wenn keine geeignete Liegenschaft in Würenlos vorhanden ist, müssten baldmöglichst solide, freundliche Holzbaracken erstellt werden, die man später z.B. an Sportvereine weiterverkaufen oder vermieten könnte. Es wäre somit eine Vorinvestition ad interim.
    Wir alle wohnen in hellen, sonnigen Wohnungen und Häusern. Gönnen wir doch dieses Grundbedürfnis jedes Menschen auch den Asylanten in unserer Gemeinde und ermöglichen ihnen auf diese Weise auch eine schnellere Integration. Es würde uns wohl anstehen und bestimmt niemandem schaden.

  3. Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss. Und was ich nicht sehe, kann mich auch nicht berühren. Diese Ausrede haben wir nun nicht mehr, die Fakten sind am Bildschirm. Es wäre deshalb schön, wenn sich noch ein paar Einwohnerinnen oder Einwohner melden würden, um in unserem Freiwilligenteam mitzumachen. Einfach den Würenblicker für eine Kontaktaufnahme nutzen und wir melden uns dann.
    Seit ich im Team mitmache, erlebe ich immer wieder, wie wichtig diese Kontakte von Mensch zu Mensch sind und wieviel Freude und Dankbarkeit zurückkommt.

  4. Nun, da dies ein sehr emotionales Thema ist, versuche ich es mal faktisch darzulegen und zu erklären. Wir haben die Zivilschutzunterkünfte gebaut, um unsere Bevölkerung im Falle einer Katastrophe schützen zu können. Als aktives Mitglied des Zivilschutzes kenne ich solche Anlagen gut. Die Meisten sind hier in einem schlechten Zustand. Grund, es fehlt das Geld, um diese ordentlich unterhalten zu können. Dies obwohl sie dazu dienen, unsere Bevölkerung, die hier seit Jahren arbeitet und Steuern bezahlt, im Falle einer Katastrophe zu schützen. Der Spardruck auf Zivilschutz (und Armee) kommt von linker Seite. Also genau vom selben Kreis der Leute, welche den Zustand für die Flüchtlinge bemängeln. Ich finde es äusserst bedenklich, dass die linke Seite kein Geld für einen angemessenen Schutz unserer Bevölkerung bereitstellen will, damit man solche Anlagen entsprechend gut unterhalten kann. Aber für Flüchtlinge aus dem Ausland, welche notabene hier reine Nettobezüger sind, soll man einen Luxus bieten, den man unserer Bevölkerung versagt? Das ist alles andere als fair! Objektiv betrachtet, sind die Flüchtlinge in der Zivilschutzunterkunft sicher untergebracht. Wenn ihnen unser Schutz, der notabene im Katastrophenfall derselbe für unsere Bevölkerung wäre, nicht genügt, dann stellt sich echt die Frage, von was genau sie denn wirklich geflüchtet sind. Vielleicht wären Sie dann zu Hause besser aufgehoben und könnten so einen nützlichen Beitrag dazu leisten, ihr Land und dessen Infrastruktur wieder aufzubauen.

    1. Herr Pfeffer, Sie schreiben, dass Sie versuchen mit Fakten die Sachlage zu erklären. Ich möchte nun gerne versuchen, auf Ihre Fakten zu antworten. Es geht hier um folgende von Ihnen formulierte Feststellungen:
      1. Die meisten Schutzbauten sind in einem schlechten Zustand
      2. Flüchtlinge sind Nettobezüger
      3. Unterbringung von Flüchtlingen in Schutzbauten

      1. Der schlechte Zustand der Schutzbauten hat nichts mit Flüchtlingen zu tun. Der Zivilschutz hat den Auftrag, unsere Schutzbauten auf ihren Zustand zu überprüfen. Werden dabei Mängel festgestellt, dann müssen diese von den Eigentümern, das können auch Gemeinden sein, in einem angegebenen Zeitfenster behoben werden. Ihre Begründung, dass das fehlende Geld für den schlechten Zustand verantwortlich sei, kann ich so nicht stehen lassen. Besser Auskunft dazu kann Ihnen Herr Vogt von der Zivilschutzorganisation ZSO Wettingen-Limmattal geben.

      2. Leider sind Flüchtlinge, wie Sie es beschreiben, «Nettobezüger». Dies nicht, weil sie es so wollen, sondern weil sie nicht arbeiten dürfen, solange sie nicht einen Status F oder B bekommen. Und selbst mit Status F oder B ist es schwierig, weil die Sprachkenntnisse nicht ausreichen und Sie keine Arbeit bekommen. Von was ist das nun abhängig? Der Bund gibt für Flüchtlinge die Regeln bekannt, für die Umsetzung sind dann die Kantone verantwortlich. Hier könnte die SVP als wählerstärkste Partei viel Geld sparen, wenn die Aufnahme von Flüchtlingen und die Umsetzung in den Kantonen vereinheitlicht und vom Bund finanziert und organisiert würde. Die Kantone wären dann nur noch ausführende Organe. Jetzt gibt es 26 verschiedene Systeme für die Betreuung von Flüchtlingen. Normalerweise werden Zuzüger in einer Gemeinde, darunter zähle ich auch Flüchtlinge, von den Einwohnern aufgenommen, und es wird versucht, ihnen bei der Integration zu helfen. Was machen wir bei den Flüchtlingen in Würenlos? Hat schon jemand diese Flüchtlinge an einem Neuzuzügeranlass gesehen oder auch an anderen Anlässen in Würenlos? Da finde ich es toll, dass sich Einwohner in den letzten Monaten bereit erklärt haben, diesen Flüchtlingen zu helfen und sie zu unterstützen. An dieser Stelle ein Bravo an diese Gruppe (siehe Kommentar von Ted Trefzer).

      3. Bis heute hat sich noch kein Flüchtling über die Unterbringung in einem Schutzraum in Würenlos beklagt. Es sind alles Würenloserinnen und Würenloser, die sich nicht mit dieser Situation anfreunden können. Der Kanton Aargau wird keine Flüchtlinge mehr in Zivilschutzunterkünften unterbringen. Das heisst, dass wir nun vom Kanton genau die Flüchtlinge bekommen haben, die wir eigentlich nicht haben wollten. Aber die Quittung kommt dann relativ rasch auf uns zu. Das hat Herr Zollinger, der Präsident der SVP Würenlos, erkannt. Aber Sie sehen das mit Ihren Fakten sicher nicht so. Nichts geschrieben haben Sie darüber, wie die Finanzlage in 5 oder 10 Jahren aussehen wird. Und was man anders hätte machen können, damit dies nicht eintrifft.
      Aus diesem Grunde stimme auch ich zu: 455 Tage im Untergrund sind genug!

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