Ortsparteien erodieren

ParteilogosRepräsentiert die Gemeindeversammlung die Mehrheit der Stimmberechtigten? – Zweifel sind berechtigt (siehe Beitrag «Ein Auslaufmodell»). Ein Teil dieses Problems sind die Ortsparteien. Sie taugen wenig als Sensoren für die Befindlichkeit und die Anliegen der Bevölkerung.

Auf den ersten Blick steht es gar nicht so schlecht um die Parteien. Die Website der Einwohnergemeinde listet immerhin vier Orts- und zwei Bezirks- oder Regionalparteien auf. Schauen wir mal näher auf die politischen Pole. Einzig sichtbares Tun der lokalen SP ist ihr Erscheinen im Parteienverzeichnis. Und die SVP? An Regsamkeit ist sie klar die Nr. 1. Mit dem Referendum gegen den Kindergarten-Buech hat sie soeben ihre Schlagkraft bewiesen.

Aber wo war diese Partei an der letzten Gemeindeversammlung – warum hat sie das Ja nicht schon dort verhindern können? Und weder sie noch eine andere Ortspartei war imstande, schon im Vorfeld der Versammlung die Öffentlichkeit über ihre Ansichten und Pläne zu orientieren. Politik auf dem Latrinenweg also. Unappetitlich!

Können Sie sich an eine öffentliche lokalpolitische Offensive oder Veranstaltung  einer Ortspartei erinnern – abgesehen von den SVP-Referenden der letzten Jahre und den rituellen Kandidatenpodien vor den Gemeinderatswahlen? Ich nicht. Aber wäre es nicht eine Kernaufgabe von Parteien, frische Ideen und Zukunftsvorstellungen öffentlich zur Diskussion zu stellen?

Sicher, wie die Vereine leiden auch die Parteien darunter, dass viele Leute nicht mehr bereit sind, sich für eine Sache längerfristig zu verpflichten und ehrenamtlich zu arbeiten. Was eine Ortspartei meint, entscheiden oft ein paar wenige Nasen. Nicht nur in Würenlos. Von «Erosion der lokalen Parteien» spricht Hans Geser, Professor am Soziologischen Institut der Uni Zürich. Die Anhängerschaft schrumpfe, die lokalen Parteivorstände würden kleiner und die Versammlungsaktivität nehme ab (»Link). Das hat Folgen: «Dominierendes Muster in der Schweizer Gemeindelandschaft» sei der «Rückgang des Parteieinflusses», sagen die Politikwissenschaftler Andreas Ladner und Reto Steiner (»Download pdf).

Um ihre Bedeutung hervorzuheben, betonen Ortsparteien gerne ihre Funktion bei der Suche und Nomination neuer Behördenmitglieder. Aber selbst die so mobilisierungsstarke SVP war im Herbst nicht in der Lage, frische Kräfte in den Kampf um ihren frei werdenden zweiten Gemeinderatssitz zu schicken. Und wer erzielte das weitaus beste Wahlresultat? Toni Möckel, ein Parteiloser. Parteilose sind in den Behörden vieler Gemeinden im Vormarsch!

Auch die Bedeutung der  Verankerung der Mandatsträger in Parteien ist kleiner als oft beschworen. Schweizweit weichen vor allem bürgerliche Gemeinde- bzw. Stadträte häufig von der Linie ihrer Parteien ab – das übergeordnete Ganze im Auge habend. Umgekehrt empfehlen sich nicht bloss für Snowboarder, sondern auch für Würenloser Gemeinderäte solide Rückenpanzer. Zu gerne fallen ihnen ihre eigenen Parteien in den Rücken (siehe Steuerfuss 2014).

Lokalpolitik ist stets mehr Sach- als Parteipolitik. Die Fronten laufen meistens quer durch die Parteien. Wohin soll das Alterszentrum zu stehen kommen, soll eine Wasserleitung erneuert werden? Für solche Fragen sind nationale oder kantonale Parteiprogramme keine Richtschnur. Darum haben in Sachfragen Interessengruppen (Eltern, Senioren, Sportler, Naturschützer, Grundeigentümer oder Gewerbetreibende) grösseren Einfluss als Parteien.

In den Ortsparteien finden Gemeindebehörden immer seltener repräsentative Gesprächspartner. Um das Ohr am Volk zu haben, könnte der Gemeinderat ebenso gut vor dem Coop 30 x-beliebige Würenloserinnen und Würenloser befragen. Es braucht verlässliche Frühwarnsysteme. Stimmungslagen und Widerstände frühzeitig wahrzunehmen, erleichtert das Regieren. Exekutiven gut geführter Gemeinden verlassen sich darum heute nicht mehr schwergewichtig auf Stimmen aus dem verstaubten Parteienstadl, sondern bedienen sich zuverlässigerer Instrumente für einen Dialog mit der Bürgerschaft. Mehr darüber in einem späteren Artikel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert