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«Sozialismus in Reinkultur»

«Amtliche Post in meinem Briefkasten. Zum einen das Couvert für die Abstimmungen vom 12. Februar. Zum andern ein Schreiben des Bundesamts für Statistik: ich gehöre zu den mindestens 200 000 Personen in der Schweiz, die in der jährlichen Strukturerhebung befragt werden, zum Beispiel darüber, in welcher Sprache in unserem Haushalt gesprochen wird oder ob ich mit dem Skateboard zur Arbeit fahre.

Die Stimmzettel muss ich von Hand ausfüllen und per Post einsenden oder direkt zur Urne tragen. Das finde ich gut. Im E-Voting, das gewisse Nerds so vehement verlangen, sehe ich mehr Nach- als Vorteile. Warum auch kompliziert, wenn’s einfach geht? Wem zur Erfüllung der Bürgerpflicht ein Gang zum nächsten Briefkasten noch zu mühsam ist, übt sich vielleicht besser in Stimmabstinenz. Zwischen Online-Einkauf und Youtube-Filmchen gucken noch schnell über die Unternehmensteuerreform abstimmen – mir graut’s vor einer solchen Klick-Demokratie.

Die beiden Fragebögen zur Strukturerhebung – und das legt man mir im Begleitbrief sehr ans Herz – kann ich auch online auszufüllen. Nichts da! Ich fülle sie von Hand aus und werfe das Rückantwortcouvert auf der hiesigen Post ein. Je mehr Briefe die netten Postdamen abends ins Briefzentrum schicken können, desto länger wird es die Post im Dorf noch geben, hoffe ich. Auch im Manor oder im Denner stelle ich hin und wieder ein bereits behändigtes Produkt rasch zurück ins Regal: «Nein, diesen Rasierschaum kaufe ich zu Hause im Volg oder in der Drogerie.» Man muss doch seinen persönlichen Beitrag leisten im Kampf gegen das Lädeli- oder das Poststellensterben und seine Macht als Konsument nutzen. Strukturerhalterlis spielen gibt einem ein saugutes Gefühl – wenigstens im Moment.

Nicht selten folgt später die Ernüchterung. Da verschwindet zwar (noch) nicht gleich die Drogerie, aber immerhin der Rasierschaum aus ihrem Sortiment. Den würden ja ohnehin alle im billigeren Grossverteiler kaufen. Gegen menschliches Schwarmverhalten ist als Einzelkämpfer offensichtlich schwer anzukommen.

Das gilt noch mehr bei Post-, Bahn- oder Bankschaltern, die scheint’s immer seltener frequentiert werden. Unser Nachbardorf Hüttikon hatten einst eine klitzekleine Post. Um dem netten Posthalter die Stelle zu erhalten, brachte ihm Bea, meine Frau, Jahre lang kartonweise den ganzen Briefversand einer grösseren Weiterbildungsorganisation an den Schalter. Das muss das Postvolumen in Hüttikon substanziell erhöht haben. Genützt hat’s nichts. Die Poststelle 8115 ist längst Geschichte.

Ich ein Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft. Dieses Gefühl habe ich oft genug auch an Sonntagen, wenn Abstimmungs- oder Wahlresultate verkündet werden. Womit wir wieder bei der Abstimmung vom 12. Februar wären. Zu drei eidgenössischen und sechs kantonalen Vorlagen dürfen wir unsere Meinung sagen. Zwei der kantonalen Vorlagen haben direkte Auswirkungen auf Würenlos. Die geänderte Aufgabenteilung zwischen dem Kanton und den Gemeinden sowie die Neuregelung des Finanzausgleichs.

Die zwei zu einem Paket geschnürten Gesetze, gegen die das Referendum ergriffen worden ist, werden Würenlos um rund 200 000 Franken oder ein Steuerprozent mehr belasten, wie das «Badener Tagblatt» vorgerechnet hat. Wir gehören trotz hoher Verschuldung halt zu den Gemeinden mit relativ hoher Steuerkraft. Entlastet werden vor allem grössere, finanzschwache Gemeinden wie Neuenhof, wo viele von Sozialhilfe leben und/oder viele Schulpflichtige wohnen. Diese Gemeinden erhalten heute – und das ist eine Ungerechtigkeit – aus dem Finanzausgleichstopf kaum etwas. Ganz im Gegensatz zu kleinen Landgemeinden, die dank dem Zustupf erstaunlich tiefe Steuerfüsse haben. Ist es ungerecht, wenn sie nun massiv mehr belastet werden sollen?

Die Mehrbelastung von Würenlos ist gering und sollte kein Grund für ein Nein sein. Es ist auch für uns auf längere Sicht nur von Vorteil, wenn die lange ignorierte Schlechterstellung von Agglomerationsgemeinden im Finanzausgleich korrigiert wird. Und wundern darf man sich schon, mit welchen Argumenten das von Ammännern stark betroffener Gemeinden angeführte Referendumskomitee gegen den neuen Finanzausgleich ins Feld zieht. «Die Vorlage beinhaltet klar sozialistische Tendenzen», ja sie sei «Sozialismus in Reinkultur», schreibt das Komitee im Abstimmungsbüchlein.

Dazu nur so viel: Die beiden Vorlagen werden vom Regierungsrat und  vom Grossen Rat mit 96 zu 32 bzw. 96 zu 30 Stimmen zur Annahme empfohlen. Kantonsregierung und -parlament sind klar bürgerlich dominiert. Will uns die bürgerliche Mehrheit geradewegs in den Sozialismus führen? Lächerlich!