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Das Virus und ich (4)

Jetzt hat also der Bundesrat die Lockdown-Regeln gelockert – und zwar rascher als geplant. Aus epidemiologischer Sicht mag das verantwortbar sein. Ob sichs aber für alle Branchen, die für eine raschere Gangart Druck gemacht haben, lohnen wird, wird sich zeigen.

Mir eilts jedenfalls nicht, mich in einem Restaurant zu Tisch zu setzen, um zu speisen. Gut, ein Bierchen in einer Gartenwirtschaft, das kann ich mir vorstellen. Ich war noch nie der Wunschkunde umsatzgetriebener Priester von Konsumtempeln. Darum leide ich nicht an gravierenden Entzugserscheinungen. Warum soll ich mich freuen, dass ich wieder in die Autowaschstrasse fahren darf, wo Ich meinen 13jährigen treuen Smart noch nie in eine solche gesteuert habe? Selbst meine Lust auf Gartenerde und Alu-Leitern  war nicht so gross, dass ich mich gleich am Montag in die Warteschlangen von Gartencentern oder Baumärkten eingereiht hätte.

Waschen, schneiden, bitte. Tina, ich komme – aber nicht gleich jetzt!

Selbst der Versuchung, Tina, meine Coiffeuse,  um einen Termin anzuflehen, habe ich bisher wider-standen, obwohl eine gewisse Dringlichkeit besteht (siehe das Bild links; Achtung Fake!) Und auch die Dentalhygienikerin, die mich jüngst anrief, um sich in Erinnerung zu rufen, habe ich nicht gleich zur Agenda greifen lassen – erst mal abwarten, sollen andere die Versuchskaninchen spielen.

Dass Schutzmasken ihre Tücken haben, durfte ich vergangenen Dienstag bei einem vor Monaten vereinbarten Arzttermin erfahren. Hoffentlich konnte Coiffeuse Tina bessere Masken für ihre Kunden ergattern als mein Hausarzt. Gewissenhaft hatte ich zuvor ein YouTube-Video betrachtet, wie man eine Schutzmaske richtig anlegt und trägt. Bubileicht, wie die Maskenexpertin sich die beiden elastischen Schlaufen über die Ohren streifte. Aber die Filmer von CH-Media hatten für ihre Demonstration wohlweislich nicht jene Maske gewählt, die mir die Arztgehilfin über den Empfangstresen reichte. Was nun, wenn statt zwei Gummibändeln an allen vier Ecken der Maske nicht dehnbare Bändeli herabhängen, die erst so zu verknoten sind. dass die Maske in gebotener Straffheit Nase und Mund bedeckt. Habe ich denn die Fingerfertigkeit eines Taschendiebs?! Ich litt nicht allein. Schliesslich sassen wir zu dritt, verschwitzt und enerviert, mit schepsem Schutz im Wartezimmer und ein jeder sah aus wie Globi mit ausgerenktem Schnabel

Soviel zu meiner ersten Erfahrung mit der Lockdown-Lockerung. Kaum hatte der Bundesrat am Mittwoch das Verbot von Grossveranstaltungen ab 1000 Personen bis Ende August verlängert, verschob unser Gemeinderat erwartungsgemäss und wie vom Fest-OK vorgeschlagen das Dorffest auf 18. – 20. Juni nächsten Jahres.. Gut so, wenn auch bedauerlich. Es ist bereits viel Vorarbeit geleistet worden, die nun erst in einem Jahr belohnt werden wird. Als Beispiel dafür stellt die «Limmatwelle» in der neusten Ausgabe Karin Wild und Sarah Wiederkehr vor. Sie haben für ihre geplante Bar einen eigenen Gin mit Kräutern aus dem Kloster Fahr entwickelt. Möge der grosse Gin-Hype noch ein Jahr anhalten! Auch die vier wagemutigen Frauen und Männer zwischen 20 und 70, die ich für mein Festprojekt – amüsante ortshistorische Dorfrundgänge – als Mitwirkende gewinnen konnte, können leider ihre Talente als unterhaltsame Guides vorerst nicht ausspielen.

Etwas Positives hat die Verschiebung. Den Verantwortlichen bleibt die knifflige Frage erspart, was mit den Bauprofilen fürs Alterszentrum geschehen soll. Vor und während dem Fest stehen lassen und auf die geplante Nutzung der Zentrumswiese verzichten? Oder die Bauprofile vorübergehend entfernen und – mit Zusatzkosten – nach dem Fest wieder aufstellen? Bauprofile müssen grundsätzlich stehen bleiben, bis ein Baugesuchsverfahren – oder hier das Gesuch um einen Vorentscheid – rechtskräftig beendet ist.

Es gibt in Würenlos viele wie Mitblogger Ernst Rohrbach, die sich darüber ärgern, dass Einwendungen das Alterszentrum seit Monaten blockieren. Aber Baugesuchsverfahren dauern öfters länger als der Bauherrschaft lieb ist. Und bei einem so grossen Gebäudekomplex und einem derart massiven Eingriff ins Ortsbild hätte das Ausbleiben von Einwendungen fast schon den Verdacht aufkommen lassen, Kritiker seien mundtot gemacht worden. Denn es sind viele Emotionen im Spiel.

Ist die Rechtslage glasklar, so vermeiden Bauherrschaften in der Regel den meist zeitraubenden Weg über einen Vorentscheid. Und Einwendungen oder Einsprachen (wie sie früher hiessen) sind nicht per se destruktiv. Gerade bei grossen Bauvorhaben führen sie nicht selten zu einem qualitativ besseren Endergebnis. Schon vor 20 Jahren, beim ersten grossen Bauvorhaben am Rand der Zentrumswiese, der Überbauung mit dem Coop, hätten einige hartnäckige Einsprecher mehr nicht geschadet. Diese Gebäude gehen auf ihre Umgebung in keiner Weise ein und die Anlage konnte auch funktionell nie recht überzeugen. Aber schon damals hiess es – es gab sogar eine gut orchestrierte Demo – wenn nicht subito gebaut werden könne, dann…

Das Virus und ich (2)

Die dritte Woche im Lockdown. Meine persönliche Zwischenbilanz aus Sicht eines Rentners: Bis jetzt war’s auszuhalten. Am meisten genervt hat mich bisher die drängelnde Ungeduld einzelner profilsüchtiger Bundesparlamentarier, die es gewaltig zu ärgern scheint, dass sie im Schatten des souverän handelnden Bundesrates stehen. Sie würden in der Öffentlichkeit (jetzt noch) gescheiter den Mund halten.

Es kam, wie ich es vorausgesehen habe, zwei Tage nach Publikation der ersten Folge von «Das Virus und ich» ist das Video unserer älteren Tochter in der Mailbox gelandet: Die ersten selbständigen Schritte unserer Enkelin. Gewiss – ein kleiner Schritt für die Menschheit, für uns in dieser Zeit aber doch ein riesiger Aufsteller. Am 1. April dann der 1. Geburtstag der Kleinen. Grossmami und Grosspapi sind nach Zürich-Höngg gefahren, ausgiebiges Winken und Rufen von der Strasse aus zum Fenster des Kinderzimmers im 1. Stock. Camille hat gelacht – sie kennt uns noch! Dann heftiges Winken quer über die Strasse, wo unsere jüngere Tochter auch zur Gratulationstour erschienen ist und in gebührendem Abstand wartet, bis die Alten von der Risikogruppe das Feld räumen. Familienleben in ausserordentlicher Lage eben.

Ansonsten verlaufen die Tage schon in seltsamer Eintönigkeit. Selbst das Wetter sorgt ja nicht für viel Abwechslung. Mit Einkaufen als typische Rentnerbeschäftigung ist’s auch nicht weit her. Verhungern und ohne Blumenschmuck auskommen muss auch in Würenlos niemand. In einer solchen Pandemie zeigt sich rasch, wer vom örtlichen Handel und Gewerbe einen drauf hat und wer nicht. Uns besorgt immer noch die liebe Nachbarin die meisten Lebensmittel, obwohl sie auch noch ein anderes Rentnerpaar und eine Nachbarin mit Gipsbein versorgt. Doch ein Spaziergang zum Hoflädeli von Markwalders Wiemelhof darf bei gebührender Vorsicht auch für uns noch drinliegen. Das denken offenbar auch Langfinger. Neuerdings bittet im Hoflädeli ein Zettel darum, die Einkäufe doch ehrlich zu bezahlen. Es sei viel ohne Bezahlung weggekommen. Ausgerechnet jetzt…

Am Tag nach dem kuriosen Familientreff steht wieder ein Höhepunkt auf dem Tagesprogramm. Jetzt geht`s im Auto nach Neuenhof, Getränke holen bei Aelligs. Wie erwartet wurden wir schon bei der telefonischen Bestellung freundlich und zuvorkommend bedient. Wollen wir die Ware selber abholen oder liefern lassen? Eine Frage des Vertrauens. Wir waren bisher zwar nicht Kunde, aber beim Dorffest vor acht Jahren hat die damals noch junge Firma der Familie  mit Wohnsitz in Würenlos als Haupt-Getränke-Lieferantin einen so tiptopen Job gemacht, dass sie gefahrloses Selbstabholen auch hinkriegen werden. So ist’s denn auch. Wir fahren vor, bleiben im Auto sitzen, der Chef himself, begrüsst uns, er müsse nur noch schnell einen anderen Kunden zu Ende bedienen. Doch dann gehts flugs. Im Nu verstaut Rolf Aellig die bestellte Ware im Kofferraum, legt die Rechnung oben drauf. Danke und uf widerluege!. 

Wir kehren nicht gleich nach Hause zurück, sondern spazieren noch der Limmat entlang bis zum Stauwehr des EWZ – Blick auf Wettingen für einmal von der anderen Seite. Es braucht nicht unbedingt einen Interkontinentalflug, um auf Entdeckungsreise zu gehen. Diesen Spaziergang haben wir in fast 40 Jahren Würenlos noch nie unter die Füsse genommen. Lohnend, wenngleich vielleicht nicht über die kommenden Ostertage. Dürfte ziemlich eng werden da, wie auch auf vielen anderen nahen Spazierwegen, etwa jenen dem Furtbach entlang oder auf den Altberg.

Glücklich, wer zu Hause einen geräumigen Balkon oder Sitzplatz hat. Und wie herrlich ruhig es da ist! Gerade ein einziger Swiss-Flieger reisst mich aus dem stundenlangen Dösen auf dem Liegestuhl an der Frühlingssonne. 

Sogar dafür ist gesorgt, dass ich nicht wie einst Waldorf und Statler in der Muppet Show von meiner Loge aus griesgrämig das Leben um mich herum (oder was davon übrig geblieben ist)  kommentieren muss. Von der Terrasse aus geniesse ich den exklusiven Blick auf die first and only Formel1-Piste in Würenlos. Rund um einen serbelnden Apfelbaum haben sie die Buben der Nachbarschaft auf der angrenzenden Wiese gebaut. Tagelang haben sie geschuftet und geschaufelt. Sogar eine kleine Boxenstrasse wurde gezimmert, aus welcher die Piloten ihre ferngesteuerten Mini-Rennwagen direkt auf die tollkühne Berg- und Talbahn rund um den Apfelbaum steuern können. Unglaublich, was die kleinen Gefährte dabei auszuhalten haben – hinein in die metertiefe Grube, mit keinem Reifen auf dem Boden wieder oben landend und weiter fräsen.

Der Apple-Tree-Racing-Course der jungen Würenloser Formel1-Piloten.

Als Nicht-Pädagoge bin ich überzeugt: Was diese Piloten bei ihrem Tun mit Schaufel und Fernbedienung und bei ihren darum jeweils entbrennenden heftigen Diskussionen in einer Woche lernen, wiegt einen Monat Unterricht im Klassenzimmer locker auf. Dennoch ist zu hoffen, dass das Homeschooling nicht allzu lange dauern wird. Sonst reicht die  Piste, an der tagtäglich weitergebaut wird, noch vor dem neuen Schuljahr bis zum Schulhaus hinunter…
(Fortsetzung folgt)

Das Virus und ich (1)

Über 65? Risikogruppe! – Päng. Schlagartig wird mir bewusst: Ich zähle zu den Alten im Land, zu den besonders schützenswerten Alten. Möglichst nichts tun in diesen Tagen und Wochen. Nichts tun, womit man sich ausserhalb des eigenen Hauses oder Gartens nützlich machen könnte. Was macht das mit mir?

Sich nicht mit anderen Alten zusammenrotten, mit anderen Generationen noch viel weniger. Schon vor 3 Wochen haben wir die Einladung eines Grossneffen zu seinem 20. Geburtstag ausgeschlagen, vor zwei Wochen dann ein gemeinsames Mittagessen mit zwei befreundeten Paaren, auch aus der Risikogruppe. Abgesehen von kurzen Wortwechseln mit Nachbarn über den nicht vorhandenen Gartenzaun hinweg – nur noch fernmündliche Gespräche, Mails und vereinzelte Briefe.

Leider kann auch modernste Kommunikationstechnik nicht jede Lücke füllen. Meine bald 102 Jahre alte Mutter habe ich vor zwei Wochen letztmals im Pflegeheim besuchen dürfen und werde sie wohl lange Zeit nicht mehr in die Arme schliessen können. Mit ihr ist eine fernmündliche Kontaktnahme schlicht unmöglich. Zu fortgeschritten ist ihre Demenz, zu schlecht ihr Gehör. Zudem hat sie kurz bevor’s losging, noch eines ihrer Hörgeräte verloren. Ersatz läge beim Hörakustiker, aber er darf nicht rein ins Heim, sie nicht raus. Wird sie ihre Kinder noch kennen, wenn alles überwunden ist? Glücklicherweise sei sie frohgemut wie immer, höre ich.

Einer ihrer Enkel, der beruflich in meine Fussstapfen getreten ist, hat darüber Folgendes geschrieben:

Wolken schauen
Meine Grossmutter ist beinahe 102-jährig. Zurzeit kann sie keinen Besuch im Altersheim empfangen. Das dürfte ihr weniger zusetzen als uns. Sie besitzt nämlich eine Eigenschaft, um die wir sie beneiden: Sie kann stundenlang in den Himmel schauen, den Wolken zusehen und dabei glücklich sein. (Martin Sturzenegger im Tages-Anzeiger)

Und Camille, unsere Enkelin? Gegenseitige Besuche oder gar ein Hüten wären unvernünftig. Telefongespräche mit einer 1-jährigen sind nicht einfacher als mit einer 102-Jährigen. Wird sie uns dereinst wieder erkennen? Ihre ersten selbständigen Schritte werden wir wohl nur auf Video bewundern können. 

Schmerzliche Schnitte ins Familienleben. Doch was wiegen sie im Vergleich zu den Sorgen und Ängsten Schwerstbetroffener, von denen man liest, sieht und hört?

Gestern hat unsere liebe Nachbarin erstmals Einkäufe für uns getätigt. Ihr Angebot anzunehmen, hat uns etwas Überwindung gekostet. Hätte ich, der in den letzten zwei Wochen fast täglich auf den schwach begangenen Wald- und Feldwegen rund um Würenlos joggen oder spazieren gegangen bin, nicht ebenso gut im Volg oder beim Bäcker etwas posten können? Vielleicht. Aber eben, mit jedem Kunden weniger sinkt das Risiko für das Verkaufspersonal. 

Nachbarschaftshilfe und Solidarität funktionieren  – auch in Würenlos. Das ist schön. Weniger schön ist, dass das Virus uns zwingt, jedem und jeder zu misstrauen. Selbst uns selber. Ist mein gelegentliches Husten oder Niesen ganz so harmlos, wie ich meine, bin ich vielleicht doch ein “Gefährder”? Ebenso könnte es der oder die andere sein, der Arzt oder die hilfsbereite Nachbarin. Diesen Spagat gilt es auszuhalten.

Die ersten 10 Tage der Pandemie haben gezeigt, was wir eigentlich längst aus dem Strassenverkehr oder von der Skipiste wissen: Gefühlten 10 Prozent Charakterlumpen, Blödianen und Dummköpfen ist das Leben der anderen ein Pfifferling wert. Ja, reine Dummheit und Gedankenlosigkeit sind gefährlich. Nicht nur, aber gerade in diesen Zeiten. 

Solidarität heisst auch Verzichten. Wäre es so schlecht, wenn dies auch in normalen Zeiten gelten würde? Und die scheinbar grenzen- und masslose Spass- und Genussgesellschaft etwas zurückgebunden bliebe?

Vor gerade mal zwei Wochen hat der Bundesrat erste einschneidende Einschränkungen verfügt, zehn Tage nur sind vergangen, seit die Massnahmen verschärft worden sind. Drei weitere Wochen gelten sie …und höchstwahrscheinlich noch länger. Da sind Durchhaltewille und Geduld gefragt. – Werde ich nachlässiger, nervöser? Oder werden die Verhaltensregeln zur Routine? Bereits zucke ich zusammen, wenn sehe, wie der “rasende Reporter” auf tbwnet-TV dem interviewten Würenloser Spitzenruderer Scott Bärlocher zum Schluss die Hand schüttelt. (Nicht schlimm, Jürg, mit dem Hinweis aufs folgende Hände-Desinfizieren hast Du die Kurve souverän gekriegt).

Fortsetzung folgt.